Firstpost

Mit voller Konzentration schmierte ich mir eine dicke Schicht Abdeckcreme auf meinen linken Unterarm. Dieses bescheuerte Dunkle Mal durfte niemand sehen! Innerlich fluchend bedeckte ich mein Tattoo so lange, bis nichts mehr davon zu sehen war. Als ich fertig war, seufzte ich erleichtert und ließ mich in den verstaubten Sitz meines Abteils sinken.
Eigentlich hätte ich im Abteil der Vertrauensschüler sein müssen, doch nachdem ich mich mit einem Professor darüber geredet hatte, hatte er mir erlaubt, in ein normales Abteil zu gehen. Ich konnte die anderen Vertrauensschüler einfach nicht leiden!
Warme Sonnenstrahlen kitzelten meine Nase durch das große Abteilfenster und ich verspürte den Drang, es zu öffnen und nach Liah zu schreien. Liah war bereits zehn Minuten zu spät! Und dabei wollte sie doch extra pünktlich kommen! Ich schüttelte den Kopfen, konnte mir dabei aber ein Lächeln nicht verkneifen. Es war einfach typisch Liah, dass sie zu spät kam!
Um mir die Zeit zu vertreiben, fummelte ich an einer Strähen meines braunen Haares herum und blickte versonnen durch das Abteilfenster nach draußen auf die Plattform, wo viele Schüler mit ihren Familien standen und sie teilweise weinend verabschiedeten. Ich schnaubte. Dieser ganze Familienkram wurde einfach überbewertet, oder?
Nach ein paar weiteren Minuten des Starrens entdeckte ich schließlich die Familie Winterbottom. Sie umarmten sich gerade und ich konnte erkennen wie Cara, ein Jahrgang über mir und eine verflixte Gryffindor, ihre Mutter küsste und lachend einem Jungen folgte.
Ich spürte einen Stich in meinem Herzen.
Sie schien, die perfekte Familie zu haben. Sie wusste bestimmt nicht, wie es ist, in einer Reinblutsfamilie aufzuwachsen.
Eifersucht loderte in mir auf und ich knirschte mit den Zähnen.
Es war einfach so unfair, dass so jemand wie sie alles hatte, perfekte Familie, perfekte Freunde, perfekte Noten. Und dann war sie auch noch eine arrogante Kuh, so eine selbstüberzeugte Gryffindor!
Nur mit Mühe konnte ich mich zügeln. Ich sollte nicht so denken und meine Mitschüler nach ihrem Haus und ihrem Auftreten beurteilen, das wusste ich. Schließlich war ja sogar meine beste Freundin eine Gryffindor. Aber, bei Merlins Bart, ich war eine Slytherin! Dazu auch noch ein Reinblut, so zu denken war mir angeboren worden!

Wie sehr mein Bruder mir auf die Nerven gehen konnte! Erst belegte er heute Morgen ewig lange das Badezimmer und dann versteckte er meinen Koffer. Ich dachte Derek wäre neunzehn und keine sechs Jahre alt mehr! Dar war Annabeth ja sogar erwachsener als unser älterer Bruder. Doch ich wollte mich nicht länger über Derek aufregen, ich hatte eh schon zu tun. Ich umarmte meine Eltern noch einmal, drückte Annabeth an mich und klopfte meinem Bruder auf die Schulter. Er lächelte mich nur doof an, während ich mir meinen Koffer schnappte und in die rote Dampflok einstieg. Ein wenig war ich schon traurig, der Zug würde mich nicht nach Hogwarts fahren, sondern zu einer ganz anderen Schule. Aber da war das spannende. Wenn was neu ist, gibt es Sachen zu entdecken, neue Leute und vor allem viele neue Geheimnisse. Eine meiner Lieblingsbeschäftigungen, Geheimnisse und Rätsel aufspüren und langsam, wie eine Zwiebel auf zuschälen. Wenn ich aber keine Geduld habe, wird das Geheimnis halt schmerzhaft aufgeschnitten, so wie ich es mit einer Zwiebel mache. Bei dem Gedanken fing ich an breit zu grinsen, ehe ich das nächste Abteil suchte.
Schnell fand ich es auch, in dem meine Freundin aus Slytherin saß. Gedankenverloren schaute sie aus dem Fenster hinaus auf den überfüllten Bahnsteig. Ich schob mit einem gewaltigen Ruck die Abteiltür auf und freute mich umso sehr. Endlich hätten Eve und ich mehr Zeit!
„Hallo Süße!“, begrüßte ich sie. Ich lächelte breit, wuchtete meinen Koffer in die Gepäckablage und setzte mich auf einen Platz gegenüber von Evening. Ich war wirklich gut gelaunt, obwohl bald wieder die Schule anfing. „Sorry für die Verspätung, Derek ist Schuld“, murmelte ich noch eine Entschuldigung.

Ich zuckte zusammen, als jemand plötzlich die Abteiltür aufriss und eine mir allzu bekannte Stimme erklang. Liah!
„Kein Problem“, erwiderte ich, nachdem sie sich für ihre Verspätung entschuldigt hatte, und strahlte die Gryffindor an. Typisch, dass sie wieder ihrem Bruder die Schuld in die Schuhe schiebt! Dennoch verkniff ich mir einen Kommentar dazu, schließlich war ich einfach froh, dass sie doch gekommen war.
Mit zerzausten Haaren fiel mir meine beste Freundin um den Hals und ich erwiderte ihre Umarmung ohne viel zu überlegen. Nachdem Liah sich gesetzt hatte, ergriff ich erneut das Wort.
„Na, bist du schon gespannt auf unsere neue Schule?“

Ach, wie sehr hatte ich Eve über die Ferien vermisst. Obwohl jeder sagte, eine Freundschaft zwischen Gryffindor und Slytherin würde nicht lange halten, waren wir der perfekte Beweis. Wir verstanden uns zu gut, obwohl wir oft unterschiedlich waren. Das liebte ich einfach an unserer guten Freundschaft, die leider geheimgehalten werden musste. Aber das wird sich jetztja bitte ändern.
„Und wie ich mich auf Nevermore freue! Neue Leute, neues zum Entdecken und wir können bestimmt mehr Zeit miteinander verbringen! Das wird so toll! Endlich können wir uns sehen lassen, oder?“, schwärmte ich, wurde aber zum Ende hin misstrauisch. Ich wollte nicht wieder, dass wir uns heimlich treffen und uns sonst nur an schwiegen. Das ist einfach doof und nicht gerade angenehm auf Dauer. Erwartungsvoll schaute ich Evening an. Mal wieder sah sie perfekt aus, jede Haarsträhne lag dort wo sie hingehörte, kein Pickel, perfekte Kleidung, alles perfekt. Ich dagegen müsste aussehen, als käme ich aus dem Bett.

„Das hoffe ich mal“, murmelte ich und fuhr mir durch die Haare. Genauso wie Liah hoffte ich, dass wir uns endlich mal normal treffen konnten, wie beste Freundinnen das nunmal taten. Auf Hogwarts hatten wir uns nämlich nicht verabreden dürfen, da die Slytherins dies sofort bemerkt und meine Eltern informiert hätten. Dann hätte es solchen Ärger gegeben! Zum Glück brauchte ich da nicht mehr dran denken, da der Dunkle Lord nun gestürzt war und ich mich langsam von meinen Eltern emanzipierte.
„Ich habe gehört, dass es auf Nevermore Doppelzimmer gibt, die wir uns mit jemandem anderen teilen müssen“, begann ich wieder das Gespräch. Als ich Liahs fragenden Blick sah, erklärte ich ihr schnell, woher ich dies wusste. „Vorhin im Vertrauensschülerabteil hat mir eine Ravenclaw davon erzählt. Keine Ahnung, woher die das weiß. Ich hoffe nur, dass wir zusammen auf ein Zimmer kommen und dass ich nicht mit irgendeiner bescheuerten Zicke aufs Zimmer muss.“
Mein Blick huschte wie von selbst zum Fenster, doch ich konnte die Gryffindor von vorhin nicht mehr sehen. Leichte Wut durchzuckte mich, doch ich ließ mir nichts anmerken und lächelte meine beste Freundin weiterhin an.

War ja klar, Eve wusste mal wieder alles, weil sie Vertrauensschülerin war. Doch ehrlich gesagt, mochte ich nicht ganz solche Leute, meist hielten sich diese für was besseres. Aber meine Freundin war nicht so. Zum Glück! Sonst würde ich es schwer mit ihr aushalten. Ich mochte keine Personen, die einem was vorschrieben und Vertrauensschüler waren halt genau solche Art von Menschen, welche ich gerne mied.
„Bitte kommen wir auf ein Zimmer. Wenn nicht ist es zwar traurig, aber wir sehen uns ja immer noch. Solange ich nicht mit einem Idioten mir ein Zimmer teilen muss, der auch nur annähernd so schlimm ist wie Derek, werde ich zur Furie. Und keine Zicken, da stimme ich dir zu“, sagte ich. Dennoch bemerkte ich, dass mit Evening etwas nicht stimmte. Kurz flackerte etwas in ihren Augen auf, doch sie setzte ein Lächeln auf. Für ein kurzen Moment wirkte es so falsch und dann sah alles wie immer aus. Ich bildete mir mal wieder alles nur ein.
„Und was meinst du, wie wird Nevermore so sein? Die Schüler und so?“, fragte ich nun. Schließlich hatte ich mir schon eine Menge Gedanken um die neue Schule gemacht. Das Abenteuer konnte beginnen.

„Naja, ich weiß nicht. Einerseits wird es bestimmt ganz spannend werden. Andererseits bin ich ziemlich misstrauisch. Die Leute da werden bestimmt auch nicht gerade so erfreut sein über unsere Anwesenheit. Ich meine, schließlich ist dann deren Gebäude bis zum Platzen gefüllt mit Schülern.
Aber-“ Ich stockte, als mein Blick auf die Uhr auf der Plattform glitt.
„Shit!“, fluchte ich und raufte mir verzweifelt die Haare, „sorry, ich muss eben für 'ne Viertelsunde weg ins Vertrauensschülerabteil. Die haben noch irgendeine Besprechung, wo ich unbedingt dabei sein sollte.“ Ich rollte demonstrativ mit den Augen. Manchmal nervte es mich schon, Vertrauensschülerin zu sein.
„Tut mir echt leid! Ich bin auch gleich wieder zurück!“, fügte ich noch schnell hinzu und schenkte Liah ein entschuldigendes Lächeln, als ich auch schon die Abteiltür aufriss und mit wehenden Haaren zum Vertrauensschülerabteil stürzte.

Genau das fand ich nicht so toll am Vertrauensschüler sein. Man musste ständig etwas erledigen und deshalb wollte ich auch nie so einen Posten übernehmen. Naja, aber Eve hatte mehr oder weniger Spaß an der Sache. Leider musste sie gehen und ich war alleine. Mal wieder.
Ich lehnte meinen Kopf an die kühle Fenster und fing an die Schüler auf dem Bahnsteig zu beobachten. Spannend war es nicht, weshalb ich leicht schläfrig wurde. Ich schloss die Augen und glitt kurze Zeit später in einen leichten Schlaf. Dabei fuhr der Zug nicht mal, vor nicht mal zwei Stunden lag ich noch in den Federn. Wenn ich mich aber langweilte, schlief ich leider schnell ein. Das zum Missfallen meiner Eltern auch im Unterricht.